Offener Brief des Bündnis gegen Armut & Wohnungsnot Tirol zu den Äußerungen von Integrationslandesrat Dr. Dornauer
Über das Interview von LH-Stv. Dr. Dornauer im „Der Standard“ am 24.2.24 wurde bereits viel diskutiert, es wurde reagiert und teils auch revidiert. Auch wenn das ursprünglich Gesagte am Wochenende teilweise wieder relativiert wurde, sieht es das Bündnis gegen Armut & Wohnungsnot als erforderlich an, zu einigen der Aussagen Stellung zu beziehen.
Gerade von einem Mitglied der Tiroler Landesregierung – insbesondere dem Landesrat für Integration – der derzeit für geflüchtete Menschen in Tirol politisch hauptverantwortlich ist, kann und muss eine gewisse Umsicht in der Wahl der Sprache erwartet werden. Eine „Asylobergrenze von Null“ kann sich Herr Dr. Dornauer laut dem erwähnten Interview vorstellen – doch wurde auch zu Ende gedacht, was das bedeuten würde?
Menschen auf der Flucht müssen jetzt schon unter großen Gefahren einreisen, um das ihnen zustehende Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen. Sie müssen unterwegs ihr Leben riskieren, um es hoffentlich zu retten, sie müssen ihre Familien über Jahre zurücklassen, um vielleicht deren Leben zu retten. Eine „Asylobergrenze“ würde bedeuten, Menschen, die ein Recht auf ein faires Asylverfahren haben, an der Grenze gewaltsam abzuweisen und damit in letzter Konsequenz ohne Verfahren bis in ihr Heimatland zurückzuschieben. Es würde bedeuten, aus der Genfer Flüchtlingskonvention auszutreten, die Europäische Menschenrechtskonvention zu missachten, gegen das Non-Refoulement-Verbot und damit das Völkerrecht zu verstoßen, und sich aus der europäischen Solidargemeinschaft zu verabschieden. Es müsste bedeuten, Österreich auch räumlich völlig abzuriegeln, und gegen die eigene Verfassung zu verstoßen. Das betrifft mich doch alles nicht, könnte ein Gedanke an dieser Stelle sein – doch gerade bei den Menschenrechten gilt: sie gelten für alle, oder für niemanden. Und 75 Jahre nach Beschluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sollte nie vergessen werden, weshalb diese beschlossen wurden.
Nach diesen ganz grundsätzlichen, menschenrechtlichen, humanistischen und juristischen Bedenken zeigen auch Zahlen und Fakten, dass eine solche Forderung nicht erforderlich und nicht sachlich begründet ist. Lediglich ca. 20.000 Menschen in Österreich, das entspricht 0,25% der Bevölkerung, sind derzeit Asylsuchende – durchschnittlich zehn Personen pro Gemeinde, oder 2,5 Menschen von 1.000. Der überwiegende Teil davon sind Menschen mit einer sehr hohen Bleibeperspektive, etwa aus Syrien. Am Beispiel im Umgang mit Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, sahen wir, dass es vor allem um den politischen und auch gesellschaftlichen Willen geht – und dadurch die Aufnahme von 70.000 Ukrainer:innen in kürzester Zeit möglich war. Auch der Integrationsmonitor des Landes Tirol selbst, sowie zahlreiche Studien zur Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, zeigen das Zusammenleben mit Geflüchteten funktioniert, und das wissen vor allem jene, die wirklich Kontakt zu geflüchteten Menschen haben. Diese Menschen, die ihr Heimatland verlassen mussten, sind wichtige Arbeitskräfte, bei gelingender Integration werden sie zu Nettozahler:innen was Steuern, Pensionsversicherung uvm. angeht. Geflüchtete Menschen möchten zu allermeist so schnell wie möglich Deutsch lernen und arbeiten. Sie arbeiten in Bereichen wie Produktion, Lebensmittelhandel, Gastronomie und im Pflegebereich, in Jobs in denen kaum Arbeitskräfte zu finden sind. In einer immer älter werdenden Gesellschaft mit
geringen Geburtenraten ist Zuwanderung für Österreich und Tirol auch wirtschaftlich unerlässlich. Geflüchtete Menschen sind dabei eine wichtige Ressource, und Österreich kann es sich nicht leisten, auf sie zu verzichten.
Wie alle Menschen brauchen Geflüchtete gewisse Rahmenbedingungen, um sich ein gelingendes Leben aufbauen zu können und somit auch positiv zur Gesellschaft beitragen zu können. Das Bündnis gegen Armut und Wohnungsnot appelliert daher besonders an die Verantwortung des zuständigen Landesrates für Integration, die erforderlichen Schritte zu setzen, damit ein „Miteinander“ weiterhin und noch besser gelingt.
Forderungen des Bündnisses gegen Armut und Wohnungsnot in Tirol
Wir fordern für ein gelingendes Zusammenleben in Tirol vor allem auch, Integration ab dem ersten Tag zu ermöglichen. Dazu gehört:
- eine kleinstrukturierte Unterbringung und Wohnversorgung von Geflüchteten in Tirol: Asylsuchende sollten so leben dürfen, wie alle Menschen das brauchen – mit Privatsphäre, in kleinen Einheiten, und in ganz Tirol. Kleine Unterkünfte im Asylverfahren ermöglichen ein würdevolles Leben und vor allem auch Kontakt zur lokalen Bevölkerung und gesellschaftliche Teilhabe. Leider gibt es auch in Tirol zu viele Großquartiere mit Mehrbettzimmern in Industriezonen oder an abgelegenen Orten. Auch nach positivem Abschluss des Asylverfahrens bleibt die Wohnversorgung ein großes Problem – ist die Suche nach leistbaren Wohnungen für alle Menschen in Tirol fast unmöglich, betrifft das Menschen mit Fluchthintergrund umso mehr. Die folgende Wohnungslosigkeit ist ein großes Hindernis für Integration.
- Deutschkurse: geflüchtete Menschen müssen rasch in die Landesgrundversorgung übernommen werden und dort sofort intensive, mehrmals pro Woche stattfindende und erreichbare Deutschkurse erhalten.
- Arbeitsmarktzugang: das Ausmaß an Erwerbstätigkeit im Asylverfahren hat sich zum Glück erhöht, geflüchtete Menschen wollen und können arbeiten. Das muss weiter gefördert und unterstützt werden – es braucht hierzu keine Verpflichtung zur Arbeit, lediglich eine Ermöglichung
- (Aus)Bildung: geflüchtete Menschen brauchen Zugang zu (Aus-)Bildung und Hilfe bei der Anerkennung und Erweiterung ihrer Vorbildung, um nicht nur als Hilfsarbeiter:innen sondern auch als Fachkräfte qualifiziert arbeiten zu können. Die Basis dafür wird schon im Asylverfahren gesetzt.
- Psychosoziale Versorgung, Betreuung und Unterbringung: auch und gerade in der Gruppe der Geflüchteten gibt es Menschen mit psychischen Erkrankungen und überdurchschnittlich hohe psychische Belastungen. Diese Menschen brauchen adäquate, multiprofessionelle Betreuung und Behandlung und die Möglichkeit, in geeigneten Unterkünften zu wohnen – im Asylverfahren und auch in der Zeit danach.
- Rasche Asylverfahren: gerade in Tirol dauern Asylverfahren derzeit ca. 18-24 Monate für Menschen mit hoher Bleibeperspektive – das sind Monate und Jahre, in denen wertvolle Zeit vergeht, Integration verhindert wird und eine weitere psychische Überbelastung der Menschen stattfindet.
- Zugang zu Beratung und Betreuung: neben der wichtigen Betreuung im Asylverfahren durch Mitarbeiter:innen der Tiroler Soziale Dienste ist auch der Zugang zum vielfältigen und hochwertigen Angebot der Sozialeinrichtungen in Tirol unerlässlich. Die Angebote müssen daher gerade in Zeiten der Teuerung ausreichend weiter unterstützt und auch ausgebaut werden, damit oben beschriebene Herausforderungen besser gelöst werden können.
Wir fordern, sich über Tirol hinaus einzusetzen für:
- Ein sorgsamer Umgang mit Sprache: wir fordern dringend, dass nicht Wahlkampf oder Parteipolitik am Rücken von marginalisierten Gruppen gemacht wird, und damit Angst und Ablehnung in der Bevölkerung geschürt wird – Sprache schafft Realität! Die Zahlen und Fakten rechtfertigen keineswegs den aktuellen polarisierten Diskurs, vielmehr ist ein menschliches, unaufgeregtes und faktenorientiertes Vorgehen zentral.
- Ein Verständnis von Integration als zweiseitiger Prozess: weder die aufnehmende Gesellschaft noch geflüchtete Menschen allein können das erreichen, was als Integration und Inklusion bezeichnet wird – für ein gelingendes Ankommen braucht es das Engagement und die Offenheit aller Beteiligten. Wir müssen daher Abstand nehmen davon, Angst und Hass zu vermehren, vorhandene Ressourcen erkennen und Probleme gemeinsam lösen.
- Einsetzen für humanitäre Aufnahmeprogramme österreichweit und EU-weit: in Form von humanitären Aufnahmeprogrammen könnten schutzbedürftige und vulnerable Menschen und Familien schon vor einer lebensgefährlichen Flucht identifiziert werden. Eine legale, geordnete Einreise mit klaren Perspektiven würde finanzielle Ressourcen schonen, Leben retten und das Ankommen nachweislich verbessern.
- Ein Bekenntnis zur Genfer Flüchtlingskonvention und dem Recht auf faire Asylverfahren. Die größten menschenrechtlichen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts dürfen nicht in Frage stehen.
- Familienzusammenführungen für alle Schutzberechtigten: Subsidiär Schutzberechtigte dürfen zwar in Österreich bleiben, ihre Familie kann aber erst 3 Jahre nach Schutzzuerkennung zu ihnen kommen. Eine so lange Trennung von der eigenen Familie stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar, verursacht großes Leid und hemmt ein gutes Ankommen in Österreich.
Das Bündnis gegen Armut und Wohnungsnot betont an dieser Stelle, dass die Zusammenarbeit zwischen politisch Verantwortlichen, NGOs und Sozialeinrichtungen in Tirol seit Jahren eine sehr gelingende ist, und in unterschiedlichsten Bereichen sehr hohe Standards erreicht wurden. Nicht nur aber auch zum Thema der gelingenden Integration und im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit stehen die Mitgliedsorganisationen des Bündnisses daher selbstverständlich zur Verfügung.
Quellen:
https://www.derstandard.at/story/2000113151252/fluechtlinge-bringen-ab-siebentem-jahr-oekonomisches-plus-in-vorarlberg
https://www.diepresse.com/18233506/nach-wirbel-um-asyl-aussagen-dornauer-spricht-von-zugespitzter-formulierung
https://www.tirol.gv.at/fileadmin/bilder/navigation/regierung/2022/Regierungsprogramm_2022_Stabilitaet_Erneuerung.pdf
https://www.tirol.gv.at/fileadmin/presse/Bilder/LHStv_Georg_Dornauer/Pressebilder/Integrationsmonitor_2023/PPP_Integrationsmonitor_Tirol_FORESIGHT.pdf
https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken/files/2023/Asylstatistik_Dezember_2023.pdf
https://www.asyl.at/de/
Kontaktpersonen für das Bündnis:
Mag. Michael Kerber t: 066488920039
Dir. Thomas Wegmayr t: 057 144 111
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